Wir arbeiten daran

Während ihre Kinder auf Distanz zur Kirche gehen, hoffen Klara und Helmut Mohren auf eine Politik der eigenen kleinen Schritte.

Ist die Kirche noch Heimat für unsere Familie?

Die Mei­nungen darüber gehen bei uns auseinander. „Nein“, sagt Florian (14): „Die Kirche ist für mich die katholische Kirche unter dem Papst und dem Vatikan und nicht der christliche Glaube.“ Für mich (Klara, Diplom-In­genieurin, Hausfrau und Mutter) ist die Kirche eher das, was wir hautnah vor Ort erleben: „Was haben wir mit dem Papst in Rom zu tun?“ Meine Kirche: Das sind Bekannte, Verwandte und Freunde, die wir im Gottes­dienst, als Messdiener, bei Freizeiten, kirchlichen Veran­staltungen und Festen treffen; Katholikentage und Kirchen­tage; (Kirchen-)Raum und (Gottesdienst-) Zeit, in denen ich persönlich Gott begegne und meinen Glauben vertiefe. Unser Freundeskreis, der uns in schwierigen Situationen wie Krankheit und Tod unterstützt, stammt überwiegend aus dem Umfeld von Gemeinden, in denen wir heute beheimatet sind oder früher, zum Beispiel in der katho­lischen Hochschulgemeinde, beheimatet waren. Wir: Das ist eine Familie mit vier Söhnen, in einer kleinen Stadt zu Hause; Jonas, unser Ältester, ist 16, unser Nesthäkchen Linus 7. Ich (Helmut) entwickele Software in einem großen Konzern.

„Die Kirche ist altmodisch, verkrustet, reformbedürftig, autoritär, undemokratisch, ausgrenzend, konservativ, langweilig, fremd, zu theologisierend, weit vom Men­schen weg, frustrierend, ätzend …“ – jeder dieser Kri­tikpunkte ist in unserer Familie schon einmal gefallen. Jonas und Florian kehren der Kirche deswegen immer mehr den Rücken.

Linus langweilt sich in den meisten Gottesdiensten, weil er sich nicht angesprochen und integriert fühlt. Und Maximilian (10) geht eigentlich nur gerne hin, wenn er als Messdiener Einsatz hat. Auch uns Eltern ärgert diese Kirche. Wir empfinden es als immer weniger selbstver­ständlich, uns zu engagieren und regelmäßig am Gottes­dienst teilzunehmen; das macht uns traurig.

Kirche versorgt uns auch mit Kraft!

Zum Glück erleben wir die Kirche auch anders, so wie wir sie uns wünschen: spirituell bereichernd, wohltuend, entspannend, sozial und kulturell aktiv, menschlich, caritativ, engagiert, lebendig, vielfältig, als Treffpunkt, Mittelpunkt, Ruhepunkt, anregend, ermutigend, bele­bend, menschlich, tröstend, ökumenisch. Beim Welt­jugendtag hatten wir Gäste aus England, und viele Erwachsene und Jugendliche der Gemeinde engagierten sich, gemeinsam ein gutes Programm und Miteinander auf die Beine zu stellen. Wir haben gemeinsam gesungen, gebetet, gespielt, gekocht, Gottesdienst gestaltet und gefeiert. Das war eine Bereicherung und Motivation und richtig katholisch im Sinne von einer allumfassen­den Weltkirche. Aufgehoben, ermutigt und mit frischer Kraft für den Alltag versorgt fühle ich (Klara) mich auch beim jährlichen ökumenischen Frauenwochenende; und wenn unsere Kinder mit den Messdienern der Pfarr­gemeinde gemeinsam auf Tour gehen, dann erzählen sie hinterher begeistert von der Gemeinschaft und den Gottesdiensten.

Befremdliche Seiten unsere Kirche

Dagegen wirkt, was wir in der „amtlichen“, „offiziellen“ Kirche erleben, auf uns oft befremdlich. Ganz besonders stören uns

  • die Einseitigkeit kirchlicher Äußerungen
    „Die Predigt ist wie Frontalunterricht in der Schule“, findet Jonas. In unserer Heimatkirche predigt fast bei jedem Gottesdienst der gleiche Pfarrer. Wieso, fra­gen sich unsere beiden Ältesten, darf immer derselbe vor einem doch noch recht großen Publikum seine persönliche Meinung zu geistlichen, aber auch welt­lichen Themen verkündigen? Warum gibt es keinen Platz für Diskussionen? „Der Vatikan hat zu jedem Thema eine Meinung, die oft nicht der Meinung der meisten Katholiken entspricht, aber trotzdem als die Meinung der Kirche gilt“, bemängelt Florian.

    Dazu kommt: Manche Hirtenbriefe und Predig­ten sind selbst für uns Erwachsene ganz oder zum großen Teil unverständlich, theologisch abgehoben und / oder haben wenig mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun. An unseren Kindern gehen solche Predigten erst recht vorbei.

    Immerhin: Manchmal erleben wir auch gut (aus-) gebildete und motivierte Priester, Gemeinde- und Pastoralreferenten, Diakone und Laien, deren An­sprachen uns Impulse geben und bei denen wir die Einheit von Wort und Tat spüren und erleben.
  • Gottesdienste ohne „Spirit“
    Besonders unsere Kinder nehmen herkömmliche Gottesdienste oft als monoton wahr. Kalte Kirchen, harte und unbequeme Bänke und vor allem: Fron­talgottesdienste ohne Begeisterung, ohne „Spirit“ und ohne froh-machende gute Botschaft langweilen sie und auch uns. Wenn jeder Gottesdienst gleich abläuft, wird der Besuch zur lästigen Pflicht. „Wer will schon jeden Sonntag das gleiche Fußballspiel sehen?“, mault Maximilian.

    Gerne besuchen wir mit unserer Familie eine Ju­gendkirche, alternative (ökumenische) Gottesdiens­te oder Kirchen- und Katholikentage, bei denen viele Traditionen und ungeschriebene Regeln „normaler“ Gottesdienste nicht gelten. Es tut uns einfach gut, mit vielen begeisterten Menschen zu feiern, uns aktiv an der Gestaltung zu beteiligen, unsere Meinung ein­zubringen und sogar Überraschungen in der Kirche zu erleben. Bei solchen Gottesdiensten fühlen wir uns nicht als Sonderlinge, wie es uns im Alltag oft er­geht, sondern wir spüren, dass es noch viele Gleich­gesinnte gibt. Solche neue Strukturen und neue Möglichkeiten, Gottesdienst zu feiern, möchten wir öfter erleben!
  • der Zölibat

    Der Zwangszölibat von Priestern sorgt auch in unse­rer Familie für viel Frust mit der Kirche. Wenn Pries­ter ihre Beziehungen verheimlichen oder verharm­losen müssen, führt das zu einem unnötigen Verlust an Glaubwürdigkeit. Warum dürfen Geistliche, die sich ansonsten als fähige und lebensnahe Seelsorger auszeichnen, nicht offen mit diesem Thema umge­hen? Wir wünschen uns auch bei solchen kritischen Themen Ehrlichkeit und Offenheit und kein Klima der Angst.

Und so weiter – wir könnten die Liste unserer Vorbehalte gegen das derzeitige Erscheinungsbild der Kirche noch fortsetzen. Im Kern steht dahinter immer wieder der Wunsch, dass die Kirche

  • überholte und universal gültige Regeln überdenkt,
  • sich auf die wesentlichen Kernelemente des Glau­bens beschränkt,
  • ihren Mitgliedern mehr Mitbestimmung einräumt und mehr Demokratie wagt.

Kirche: Noch unsere Heimat!

Aber auch wenn es so weit noch nicht ist: Wir gehen weiter zur Kirche, beteiligen uns aktiv am Leben der Ge­meinde und sehen die Kirche (noch) als unsere Heimat. Denn wir brauchen Gemeinschaft, wollen mit an der Kirche bauen, und, am allerwichtigsten: Wir glauben an Jesus Christus.

Deshalb habe ich (Helmut) auch vor, mich für die nächste Wahl zum Pfarrgemeinderat aufstellen zu lassen. Ich weiß, dass diese Aufgabe für mich (wenn ich denn gewählt werde) keine Spaßveranstaltung wird. Aber ich will mich nicht damit begnügen zu kritisieren, über Probleme zu jammern oder gar an kaum veränderbaren Umständen zu verzweifeln. Wenn wir unsere Kirche als Heimat und als Bereicherung erleben (möchten), dann müssen wir sie auch als Familie aktiv mitgestalten und fördern. Deshalb will ich versuchen, an Veränderungen mitzuarbeiten. Mehr Transparenz, mehr Offenheit und Kommunikation zwischen den Haupt- und Ehrenamt­lichen und der ganzen Pfarrgemeinde – das sind die Hauptziele, die mir dabei vorschweben. Ich will anpa­cken und in kleinen Schritten verbessern – auch wenn’s schwer wird.

Klara und Helmut Mohren